Sport ist gesund. Training macht fit. Warum sind Sportlerinnen und Sportler dann häufig verletzt?

Natürlich kommen nach einer Verletzung Fragen hoch, wie:

„War ich nicht stark genug? Habe ich zu wenig gedehnt? Habe ich nicht ausreichend trainiert?“ Etc.

Die Antwort lautet: „Man wird besser in dem, was man tut, nicht in dem, was man weglässt.“

 

Problem Nummer 1: das Ungleichgewicht

Nach unserem landläufigen Verständnis bewirkt jedes Training die Sauerstoffversorgung sämtlicher Gewebe im Körper, aber das ist nicht der Fall.

Zwar fördert jede Art von Bewegung die Durchblutung (d.h. die Sauerstoffversorgung und Abfallbeseitigung) in den Muskeln – aber nur in den Muskeln, die für die jeweilige Bewegung verwendet werden.

Wenn du also Fußball spielst, schwimmst, Rad fährst, nützt das immer nur den Muskeln, die du dabei einsetzt. Sport bewirkt Muskelaufbau, bessere Ausdauer, Beweglichkeit und Koordination – aber leider nur in den spezifisch gebrauchten Bereichen.

Wiederholst du dieselbe Art von Training, also immer wieder Bewegungen nach einem bestimmten Muster, und beanspruchst dabei den Körper stark, entstehen mit der Zeit kräftige Gewebe neben schwachen Geweben. Dieses Ungleichgewicht ist ein Nährboden für Verletzungen.

Wer starke, regelmäßig beanspruchte Stellen neben unterforderten (und bei unerwarteten Belastungen schnell überforderten) schwachen Stellen hat, erhöht das Risiko für Gewebeschäden, u.a. durch das Schaffen von großen Spannungsunterschieden.

Die Verminderung von Bewegung in den schwachen Stellen bewirkt dort eine Verminderung von Muskelmasse, von Gefäßneubildung (Kapillaren) und von Knochenmasse, eine schlechtere Propriozeption sowie einen Zuwachs an „verklebten Stellen“.

„Verklebte Stellen“ sind asymmetrisch strukturierte und verlaufende Fasern im Bindegewebe, die sich wie Narbengewebe verhalten. Sie behindern die Gleitbewegung der Muskulatur und schränken den schmerzfreien Bewegungsspielraum ein.

Leider sind Dehnübungen kein Ausweg aus dieser verklebten Verfassung.

Fazit: Der Körper kompensiert diese verklebten, nicht arbeitsfähigen Stellen mit dem Ausweichen auf andere Muskeln und Gelenke, die dafür nicht gemacht sind und schnell überlastet werden. Das führt zu Schäden und Verletzungen.

 

Ein starker Fuß im Fußball schafft starke Regionen neben schwachen (Ungleichgewicht Spielbein vs. Standbein).

 

Problem Nummer 2: die passiven Lasten

Athleten glauben, sie seien fit und gesund, weil sie eine gewisse Stundenanzahl pro Woche trainieren. Dabei übersehen sie die Abhängigkeit des Körpers von spezifischen aktiven und passiven Lasten, denen er kontinuierlich ausgesetzt ist.

Die Frage lautet somit: Welche aktiven und passiven Lasten erfährt der Körper in der restlichen, trainingsfreien Zeit des Tages?

  • Wie viele Wochenstunden presst sich ein Stuhl gegen die Rückseite deiner Oberschenkel? Wie wirkt sich dieser Druck auf die Blutgefäße aus, die zu deinen Füßen führen, oder auf die Nerven in der Beckenregion?
  • Worauf und in welcher Position schläfst du?
  • Wie sieht deine Haltung beim Sitzen / Stehen / Gehen aus?
  • Welche Tätigkeiten / Bewegungen verrichtest du häufig am Tag?
  • In welche Positionen begibst du dich nie?
  • Welche Schuhe trägst du bevorzugt?

Selbst wenn du 20 Stunden pro Woche trainieren solltest, wirken die Lasten, die dein Körper erfährt, bei angenommenen 14 Wachstunden pro Tag immer noch 98 Stunden pro Woche. Das entspricht etwa einem Verhältnis von 1:5. Sitzt du z.B. täglich 6 und mehr Stunden in einer ungünstigen Position, stellt das eine hohe passive Last für deinen Körper dar.

Wie erwähnt, betreffen die positiven Wirkungen von Training nur die dabei arbeitenden Bereiche (besonders, was die Sauerstoffsättigung angeht). Auch wenn das allgemein so angenommen wird: Sport wirkt nicht auf den ganzen Körper. Wir haben ca. 600 Skelettmuskeln. Welche davon werden bei deinem Training betätigt? Welche werden vernachlässigt und können Lasten weder tragen noch abfangen?

Fazit: Sport und Training schaffen es nicht, die vernachlässigten Gewebe, die sich an deine Lebensweise angepasst haben, wieder fit zu bekommen. Sie stellen nicht die Varianz und Häufigkeit an Bewegungen und Lasten zur Verfügung, die du für deine Stabilität und Mobilität brauchst.

 

 

Ein Lösungsansatz, der zu kurz greift

Derzeit gängig im Sport ist der Einsatz von Ausgleichs- bzw. Crosstraining. Es ist der Versuch, die Defizite des jeweiligen Spezialtrainings auszugleichen und chronischen Verletzungen vorzubeugen.

Crosstraining ist auf jeden Fall besser als nichts, nur – du bist dabei immer noch im Sport bzw. Training. Bestimmte Bewegungsabläufe werden wiederholt, du bleibst bei immer gleichen, eingeschränkten Bewegungsmustern. Wenn z.B. ein Judoka zum Ausgleich Läufe absolviert, ein Radfahrer schwimmen geht oder ein Läufer mehr Krafteinheiten in sein Training einbaut, wird ihn das nicht vor Verletzungen bewahren. Crosstraining bietet nicht die gebotene Vielfalt und Variabilität an Bewegungen, um verkümmerte, schwache und verklebte Stellen wiederzubeleben und zu stärken.

Fazit: Ausgleichs- und Crosstraining zur Verletzungsprävention ist besser als nichts, greift aber zu kurz.

 

 

Wie man diese Probleme wirklich entschärft

Sportliche Spezialisierung ist unumgänglich. Sie darf aber nicht auf Kosten des natürlich gegebenen Bewegungspotentials des gesamten Körpers gehen.

„Was es braucht, um die angesprochenen Probleme zu lösen, ist eine Trainingsergänzung in Form eines nicht-spezialisierten, natürlichen Bewegungsprogramms, das die Bewegungsfähigkeit und die Körperwahrnehmung verbessert und dadurch Verletzungen vorbeugt.“

  • Dieses Programm muss die Trainingsbelastung und die Belastung des Körpers im Tagesablauf außerhalb des Trainings berücksichtigen (aktive und passive Lasten).
  • Es muss ein möglichst großes Repertoire an Bewegungsabläufen (laufen, sprinten, springen, balancieren, klettern, rollen, fangen, heben, hängen, krabbeln, atmen, sitzen, stehen) in hoher Vielfalt und Variabilität vermitteln.
  • Es sollte mit hoher Achtsamkeit für den eigenen Körper und dessen Möglichkeiten und Grenzen regelmäßig praktiziert werden.
  • Dadurch verbessert es deine Propriozeption, die es dir ermöglicht, den Unterschied zwischen stabil vs. instabil, entspannt vs. angespannt, koordiniert vs. ungeschickt, etc. in deinen Bewegungen wahrzunehmen.
  • Es entwickelt dein Körperbewusstsein auf eine höhere Stufe. Das ist nachhaltige Verletzungsprävention.

 

Propriozeption und Körperbewusstsein verbessern durch Feldenkrais.

 

Fazit: Nach meiner Erfahrung beinhaltet ein Bewegungsprogramm nach Feldenkrais all diese Eigenschaften. Es bietet somit eine ideale Trainingsergänzung zur Verletzungsprävention und Bewegungsoptimierung.